Rezension: „Good Night Stories for Rebel Girls – 100 außergewöhnliche Frauen“

Buchrezension von Karine Gohr

 

„Good Night Stories for Rebel Girls – 100
außergewöhnliche Frauen“ 

 

von Karine Gohr



Kennst Du Wilma
Rudolph? Trotz ihrer Polio-Erkrankung siegte sie bei Olympia. Oder Matilda
Montoya? Sie kämpfte dafür, die erste Ärztin in Mexiko zu werden. Ihre
Geschichten kannst Du in einem neuen Buch lesen: „Good Night Stories for Rebel
Girls“ enthält Porträts von 100 Frauen, zu denen wir aufschauen können. Ein
tolles Buch mit einem großen Manko
 

Vor einigen Monaten tauchte in meiner Facebook-Timeline ein Video
auf mit dem Titel „If you have a daughter you need to see this“. Brav klickte
ich auf den Link und schaute zu, wie Mama und Tochter alle Bücher mit nur männlichen Helden aus einem
Bücherregal räumten. Erschrocken starrte ich auf das fast leere Regal, als sie
fertig waren. Mir war nie klar, wie wenig Bücher mit starken Protagonistinnen
es offensichtlich gibt. Die Autorinnen Elena Favilli und Francesca Cavallo waren
vom leeren Bücherregal genauso schockiert wie ich und recherchierten die Lebensgeschichten
von 100 Frauen, die Großes geleistet haben. Sie lebten zwischen dem 16.
Jahrhundert und heute. Die Autorinnen sagen, sie haben das Buch geschrieben,
das sie als Mädchen selbst gerne gelesen hätten.

Super,
fand ich, und kaufte es für meine Tochter als Geschenk zum siebten Geburtstag.
Zu dem Zeitpunkt war es nur auf Englisch erhältlich. 
Mittlerweile
ist eine deutsche Übersetzung erschienen.

Buchrezension Lesen für Kinder
Blick ins Buch

Kurz gesagt: Das Buch ist großartig!  Jeder Frau gehört eine wunderschön
illustrierte Doppelseite. Auf den ersten Blick sieht man ihre Lebensdaten, ihren
Beruf und ein Zitat. Das lesen wir immer als erstes. Der Text steht auf einer
Einzelseite – wirklich nicht viel – und reicht für die Eckdaten: Wie wuchs sie
auf, was war ihre Leidenschaft und was hat sie Bemerkenswertes erreicht? Die
Kürze ist ein Fluch (viel zu wenig Information) und zugleich die große Stärke
des Buchs. Denn die knappen Infos laden zum Erzählen ein. Wenn ich meiner
Tochter daraus vorlese, erzähle ich ihr den fehlenden Kontext, damit sie
einordnen kann, warum das Lebenswerk der Frau so besonders ist. Bei der
brazilianischen Profi-Surferin Maya Gabeira haben wir auf Youtube Clips von ihr
beim Wellenreiten angeschaut.

Nach der Geschichte der zehnjährigen Coy Mathis haben wir
zum ersten Mal über Transsexualität gesprochen. Denn Coy (geboren 2007 als
Junge) ist mit ihren Eltern vor Gericht gezogen, um an ihrer Schule die
Mädchen-Toiletten nutzen zu dürfen. Wir sprachen darüber, wie es wohl ist, wenn
sich das eigene Geschlecht falsch anfühlt, und warum Menschen ein Problem mit
Transsexuellen haben könnten. Die Geschichten bilden einen Ausgangspunkt für
ganz intensive Gespräche mit meiner Tochter. Über Werte, Konventionen, Gerechtigkeit.
Über Kultur, Tradition, Religion und über unsere Gesellschaft. Und natürlich
auch über unsere Träume: Was wünschen wir uns und wofür möchten wir im Leben
einstehen?

Jede Geschichte schult den Blick über den Tellerrand, stärkt
Empathie und lässt meine Tochter ihren eigenen moralischen Kompass entdecken.
Was ist richtig, was ist falsch? Und warum lassen so viele Leute Unrecht
einfach geschehen? Sie liebt diese besonderen Gute-Nacht-Geschichten genau wie
ich, und jeden Abend lesen wir bis zu drei. Ich verschenke das Buch auch gerne –
mit begeisterten Rückmeldungen.

Und trotz allem habe ich mit diesem Buch ein Problem.

Ein ganz schön großes sogar.

Ich frage mich: Warum richtet es sich ausschließlich an
Mädchen?

Weil Mädchen es im Leben schwerer haben als Jungen?

Das will ich nicht leugnen, und es macht mich wütend. Wir
müssen unsere Töchter stärken, in einer Welt, wo Frauen immer noch weniger Geld
verdienen als männliche Kollegen. In einer Welt, wo der Weg nach oben über
Schotterpisten und auch mal Besetzungscouchen führt (siehe #metoo-Debatte). In
einer Welt, wo so gut wie jede Frau (mindestens) eine sexistische Anekdote erzählen
kann. In einer Welt, wo man beim Feiern im Club besser seinen Drink im Auge
behält, und wo man Angst hat, nachts allein nach Hause zu laufen. In einer
Welt, wo Hausarbeit und Elternzeit immer noch größtenteils Frauensache sind
(okay, der Mann bringt bereitwillig den Müll raus, aber solange er sagt, er
„hilft“ im Haushalt, sind Partner nicht gleichberechtigt, egal wie viel er
macht). Und die Probleme in unserem Land klingen beinahe banal, wenn man
bedenkt, was Mädchen in anderen Teilen der Welt aushalten müssen.

Rezension Buch Kinderbuch
Blick ins Buch

Natürlich wünsche ich mir, dass meine Tochter als Erwachsene
eine gerechtere Welt erleben darf. Und ich glaube, dass wir die Welt für unsere
Töchter nur verbessern können, wenn wir bei unseren Söhnen anfangen. Keine
Frage: Unsere Töchter brauchen starke weibliche Vorbilder, solche wie die 100
Frauen. Aber unsere Söhne auch. Unsere Söhne müssen genauso wissen, wozu Frauen
fähig sind und was sie leisten.

Wenn wir wollen, dass unsere Töchter gleichberechtigt zu
Männern leben, dann müssen wir Söhne aufziehen, die jenseits von Klischees
denken. Wir brauchen Söhne, die weibliche Stärken wertschätzen, ohne Angst zu
haben, selbst zu kurz zu kommen. Deshalb brauchen Jungen starke weibliche
Vorbilder, jenseits von Mama und Oma. Wer erzählt Jungen heute eigentlich noch,
dass Weinen unmännlich ist? Und warum klingt „Laufen wie ein Mädchen“ wie eine
Beleidigung? (Hier ist übrigens ein rührendes Video von Mädchen, die „laufen wie
Mädchen“: VIDEO.

Ich finde es falsch, Jungen und Mädchen gleich machen,
sondern finde es wichtiger, sie zu bestärken, sie selbst zu sein. Mädchen
sollen nicht hinter Jungs zurückstehen. Jungs aber auch nicht hinter Mädchen.
Mir geht es darum, Respekt und Verständnis für einander zu fördern. Zunächst
mal sind wir alle Menschen. Aber wir sollten auch Frau oder Mann sein können,
ohne dass es uns Nachteile einbringt. So zumindest erziehe ich meine Tochter
und meinen Sohn.

Mein Sohn ist erst vier. Wenn er größer ist, werde ich ihm die
Geschichten von den 100 Frauen genauso vorlesen wie heute meiner Tochter. Und
ich freue mich jetzt schon auf die Gespräche mit ihm über seine Träume und
seine Vorstellung von Gerechtigkeit.

Jungs ein Mädchen-Buch vorlesen? Ich höre schon das
Gegenargument: Die interessieren sich doch nicht für Mädchen-Geschichten. Die
wollen Abenteuer von wilden Kerlen hören. Mag sein, und warum auch nicht? Wilde
Kerle wie Piraten zum Beispiel? Auch Frauen waren Piratinnen! So wie Jacquotte
Delahaye. Ihre Geschichte findest Du auch in den „Good Night Stories for Rebel
Girls“.

Aber sind die „Good Night Stories“ überhaupt
Mädchen-Geschichten? Als Journalistin, die Storytelling gelernt hat, sage ich:
Nein. Es sind Helden-Geschichten. Es sind Erzählungen über Menschen, die gelebt
haben, was ihnen wichtig war, trotz aller Widerstände. DAS ist der Kern des
Buchs. Und nachdem wir nun alle 100 Kapitel gelesen haben, kann ich eins mit
Sicherheit sagen: Diese Frauen mussten in ihrem Leben manchmal stärker sein als
alle wilden Kerle zusammen. Und das ist spannend für alle Kinder.

Ich schlage übrigens vor,
den Titel dieses absolut lesenswerten Buchs umzubenennen. „Good Night Stories about
Rebel Women for Girls and Boys“ klingt viel treffender. Und natürlich werde ich
es weiterhin im Freundeskreis empfehlen. Vor allem den Jungsmüttern.

Karine Gohr ist Journalistin, Food und Mental Coach. Ihr Herzensthema
ist gesundes Essen (www.leckerpaleo.de). Aber wenn es um Gerechtigkeit zwischen
Mädchen und Jungen geht, kann sie mindestens genauso leidenschaftlich werden.
Karine lebt mit Mann, Tochter (7) und Sohn (4) in Hamburg, und freut sich, dass
beide Kinder Bücher über alles lieben.

 

 

17 Kommentare

  • Das Buch wird mit Sicherheit bald bei uns im Bücherregal einen Platz finden. Ein wichtiges Thema, dankeschön. Liebe Grüße Mia

  • Guter Einwand. Das Buch sollten auf jedenfall auch Jungs lesen, da stimme ich dir zu. Danke für den Tipp.
    LG Anke

  • Es ist wirklich tolles Buch! Meine Tochter konnte es nicht weglegen.
    Liebe Grüße
    Natalia

  • Cool, jetzt will ich das selbst lesen! Danke für die Vorstellung und den schönen Beitrag 🙂

  • Ein richtig cooles Buch! Kannte ich bisher nicht, aber ich kann mir richtig gut vorstellen, was für tolle Unterhaltungen daraus entstehen können!

  • Ich habe jetzt schon so viel Rezensionen darüber gelesen und ich glaube es wird Zeit, dass ich es mir kaufe😉

  • Vielen Dank für den Tipp, dass muss ich unbedingt für unsere Tochter kaufen 🙂

  • Scheint ein tolles Buch zu sein, das kommt mal auf die Wunschliste 🙂
    Liebe Grüße, Frida

  • Freut mich, dass ich euch ein Buch für die Wunschliste vorstellen konnte.

  • Starke Frauen – darüber sollten unsere Töchter viel mehr wissen!

  • Die Bilder machen mich ganz neugierig! Ich achte bei Büchern ja irgendwie immer auf schöne Bilder…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben